Hadern mit Formeln

Liebe logische Leute,

Man kann sich im ewigen Bemühen, die Welt in eine Formel einzufangen, auch verzetteln. Das Bestreben jedoch scheint mir recht löblich, und ich muss ja auch das Meinige dazu beitragen, doch bin ich bei folgenden mustergelösten Formalisierungen gestolpert:

Ü3, 3e) Jeder bewundert den gerissenen Spitzel.

∃x[((Px∧Qx)∧∀y(Py∧Qy→y=x)) ∧ ∀z(Rz→Szx)]

Hier wird eine Existenzbehauptung aufgestellt und die Formel ist falsch, falls fraglicher Spitzel nicht existieren sollte. Steckt dies wirklich im Satz? Wäre der Satz nicht auch wahr, wenn es weder bewundernde Personen, noch gerissene Spitzel gäbe? (Zum Beispiel wie der hierzulande wahre Satz: Jedes Einhorn bewundert den kahlköpfigen König von Frankreich.)

3k) Niemand bewundert jeden gerissenen Spitzel.

¬∃x∀y[(Rx∧(Py∧Qy)) ∧ Sxy]

Auch das schien mir ontologisch sehr grosszügig, ich habe mich ein bisschen nach einem Konditional gesehnt. Wird hiermit nicht irgendwie behauptet: Alles ist ein gerissener Spitzel und es gibt keine Person, die diese alle bewundern würde? Mir leuchtet ¬∃x[Rx∧∀y(Py∧Qy → Sxy)] auf den ersten Blick mehr ein.

Und:

Ü4, 2e)

e) Der dünnste Schneider ist Jean.

∃x(Px∧ ∀y((Py∧ ¬(y=x) → ¬Ryx) ∧ x=a)) a: Jean Px: x ist ein Schneider Rxy: x ist dünner als y

Heisst das nicht einfach, dass es kein dünnerer Schneider als Jean gibt? Dies wäre aber eine schwächere Behauptung, als dass er wirklich der dünnste ist.

Ausserdem hat mich überrascht:

VL 4, Folie 8:

George Bush ist der Präsident der Vereinigten Staaten.

Px: x ist der Präsident der Vereinigten Staaten. a: George Bush

Ist dieses der nicht zuviel?

Ich danke euch, wünsche herzlich ein schönes Wochenende und entschuldige eine gewisse Spitzfindigkeit und Tüpfchenscheisserei, aber Unsicherheiten wirken derzeit recht beunruhigend.

mfg,

Stefan

Kommentare

  1. Ich muss revidieren:
    Heute glaube ich nicht mehr, dass die obige Formel für 3k) besagt: Alles ist ein gerissener Spitzel und es gibt keine Person, die dies alles bewundern würde. - Die Negation bezieht sich meines Erachtens auch auf den Allquantor, d.h. es wird nicht behauptet, alles sei ein gerissener Spitzel. Vielmehr, scheint mir jetzt, wird gerade das verneint und die Formalisierung besagt: - Nicht: Es existiert eine Person und alles ist ein gerissener Spitzel und die besagte Person bewundert alles. - Oder, wie wir es bisweilen formulierten, nicht ohne den zum Wahlsonntag passenden politischen Unterton: - Nein zu: Es existiert eine Person und alles ist ein gerissener Spitzel und die besagte Person bewundert alles. -

    In diesem Sinne möchte ich meine anfängliche Vermutung korrigieren. Nichtsdestoweniger scheint mir die Formalisierung eher suspekt.

    Stefan

  2. Hier ein möglicher Erklärungsansatz zu Ü3, 3e) nach Russells Kennzeichnungstheorie…

    Der Satz p “Jeder bewundert den gerissenen Spitzel” enthält die definite Kennzeichnung “der gerissenen Spitzel”. Russells Analyse zufolge wird mit obigem Satz dreierlei behauptet: i) Es gibt ein Ding, das sowohl ein Spitzel als auch gerissen ist. ii) Es gibt höchstens ein Ding, das sowohl ein Spitzel als auch gerissen ist. iii) Was auch immer ein Spitzel und gerissen ist, wird von jeder Person bewundert.
    Und in Formeln ergibt sich: ∃x(Px∧Qx) ∧ ∀x(Px∧Qx → ∀y(Py∧Qy → x=y)) ∧ ∀x(Px∧Qx → ∀y(Ry → Syx)), was zur Formalisierung in der Musterlösung äquivalent ist. Die Wahrheit des ersten Konjunktionsgliedes [∃x(Px∧Qx)] ist eine notwendige Bedingung an die Wahrheit von Satz p. Der alleinige Umstand, dass es weder bewundernde Personen noch gerissene Spitzel gibt (damit wäre nur die Wahrheit der letzten beiden Konjunktionsglieder gesichert), mag für die Wahrheit von p somit nicht hinreichen. Damit scheint auch klar zu sein, warum der Satz “Jedes Einhorn bewundert den kahlköpfigen König von Frankreich” nach Russell falsch ist.

    Gruss, Claudio

  3. Das habe ich eben gerade bezweifelt und bezweifle es eigentlich noch immer. Russell behauptet ja nicht, dass alles existiert, was (allenfalls) Gegenstand einer bestimmten Kennzeichnung ist. - Deshalb kann er die Existenz des (einen und einzigen) Osterhasen verneinen oder über den kahlköpfigen König von Frankreich reden. Meines Erachtens stimmt es nicht, dass jeder Satz mit einer bestimmten Kennzeichnung schon eine Existenzbehauptung der fraglichen Entität mit einschliesst. Der Satz “Jeder bewundert den gerissenen Spitzel” scheint mir eben in erster Linie eine Allaussage über Personen zu sein: Für alles gilt: Wenn es eine Person ist, dann bewundert es den gerissenen Spitzel. - Und in diesem Sinne wäre die Spitzelexistenz erst im Konsequens verankert, folglich nicht vorausgesetzt. Nur wenn es Personen gibt, gibt es auch mindestens und höchstens einen gerissenen Spitzel, der von allen bewundert wird. - Nicht? (Bist du sicher, dass Russell diesen Einhornsatz in einer einhornlosen Welt als falsch erachten würde?)

  4. Ich sehe ein, dass, falls bei Kennzeichnungen die Exstistenzvoraussetzung fallen gelassen wird, du in deinen Ausführungen Recht behältst. Nur: Nach Russell [On denoting, S. 481 (letzter Abschnitt)-482] handelt es sich bei definiten Kennzeichnungen sowohl um eine Existenz- wie auch eine Eindeutigkeitsbehauptung. Meiner Meinung nach, geht das klar aus dem Text hervor. Dass Russell den obigen Einhornsatz in einer einhornlosen Welt, in der es keinen derzeitigen König von Frankreich gibt, als falsch erachtet würde, führt er ja, so scheint es, gerade am Beispiel vom französischen König (gegen Ende von Seite 482) aus.

  5. Was meinst du genau? Russell schreibt tatsächlich “Every proposition of the form C(the present King of France) is false.” - Aber das heisst doch nicht, dass jeder Satz, der diese Kennzeichnung enthält, falsch ist. Das will ich nicht glauben und es tut mir leid. Weil, wenn es das hiesse, wäre auch der Satz “Den König von Frankreich gibt es nicht.” falsch - aber das wollen wir ja nicht, bzw. er hätte beim Osterhasenproblem wiederum nichts gewonnen, nicht? Und hör, was er - offenbar Atheist - eben über Apollo sagt: “If “Apollo” has a primary occurrence, the proposition containing the occurrence is false; if the occurrence is secondary, the proposition may be true.” (p. 491) - Alles was von jenem König handelt einfach als falsch zu erachten, finde ich unfein - allerdings, gebe ich zu, ist es unklar, inwiefern eine Kennzeichnung im Konsequens einer Allaussage in sekundärer Position auftritt.

    (Ausserdem, glaube ich, ergibt sich eine Ambiguität bei verneinten Superlativen: “Kant ist nicht der beste Philosoph.” - Du würdest sagen, es heisst, es gibt einen besten, aber das ist nicht Kant. (?) Kann es sein, dass es einen ebensoguten Philosophen gibt? Es ist die Frage, wo die Negation hinfällt: Es ist nicht der Fall, dass ein Philosoph der beste ist und zwar Kant. Oder: Es gibt einen besten, aber das ist nicht Kant. - Es scheint mir dies allenfalls eine leichte Ambiguität bzgl. der Position der Kennzeichnung (primär/sekundär))

  6. “Jedes Einhorn bewundert den kahlköpfigen König von Frankreich” wäre gemäss Russell falsch, weil der Satz wie folgt analysiert würde: “Es gibt genau einen kahlköpfigen König von Frankreich, und für alle Einhörner gilt, dass sie ihn bewundern.” Da die Existenzaussage des ersten Konjunktionsglieds falsch ist, ist der ganze Satz falsch.
    Auf den ersten Blick könnte man vermuten, dass der Satz wahr ist, weil sonst die folgende Aussage zutreffen müsste - “Es gibt mindestens ein Einhorn, welches den kahlköpfigen König von Frankreich nicht bewundert.” resp. “Es gibt genau einen kahlköpfigen König von Frankreich, und es gibt mindestens ein Einhorn, welches ihn nicht bewundert.” Dies ist jedoch nicht die Negation des obigen Satzes, weil es sich bei jenem ja, wie wir gesehen haben, um eine Konjunktion handelt, seine Negation lautet demnach: “Es ist nicht der Fall, dass es genau einen kahlköpfigen König von Frankreich gibt und dass für alle Einhörner gilt, dass sie ihn bewundern.” Eine wahre Aussage, da das erste Glied der negierten Konjunktion falsch ist.

  7. Hadern mit Formeln: Ist es nicht ein Hadern mit der Welt.

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