Vagheit vs. mangelnde Spezifizität
Ich habe bei Aufgabe 2 (ÜB 3) auch nach der Übungsstunde noch einige offen Fragen. Unklar sind mir vor allem a) und b). Ich formuliere a) um, damit die syntaktische Ambiguität (”Bilder von Picasso” -> 1. Gemälde von Picasso, 2. Fotos vom Maler Picasso) ausgeklammert ist:
(a) Gemälde von Picasso sind teuer.(b) Susanne duscht zu oft und zu lange.
Meine ersten Gedanken zu a):Was heisst schon teuer? 1 Million? Das ist für nen Picasso eher billig, für die Meisten aber schweineteuer. Kann ich es spezifizieren? Bestimmt nicht mit einem Preis, denn auch dann bleibt “teuer” vage. Klarer Fall: Vagheit. Lösung: Vagheit. So weit, so gut.Meine ersten Gedanken zu b):Was heisst schon zu oft? 3 x am Tag? Zu lange? 20min? 50 min? Kann ich es spezifizieren? Bestimmt nicht mit einer Anzahl und einer Dauer, denn auch dann bleiben “oft” und “lange” vage. Klarer Fall: Vagheit. Lösung: mangelnde Spezifizität!?!?Erklärung zu (b) in der Übungsstunde: Der Satz lässt sich z.B. so spezifizieren:
Susanne duscht zu oft und zu lange, ihre Mitbewohner warten stundenlang bis sie ins Bad können.
Einverstanden, dass der Satz so an Wahrheitswert gewonnen hat. Nun frage ich mich aber, lässt sich in dem Falle nicht von a) gleichberechtigt sagen:
Gemälde von Picasso sind teuer, viele Menschen können sie sich nicht leisten.
So wird die Aussage doch auch eindeutig? Anders gefragt: Wie unterscheiden sich die zusätzlichen Informationen “ihre Mitbewohner warten stundenlang bis sie ins Bad können” und “viele Menschen können sie sich nicht leisten”? Irgend ein Unterschied muss ja bestehen, wieso sollte sonst “ihre Mitbewohner” mangelnde Spezifizität herbeizaubern und “viele Menschen” nicht?Anders gesagt: Was zuerst vage war, ist nur noch unklar :-)GrüsseThomas
Rathgeb schrieb am 12 Oct 2007 um 11:04 am ¶
Lieber Thomas
Ich habe eigentlich gehofft, dass jemand anders gewillt ist, seine Weisheit mit uns zu teilen. Ich kann nur eine Auswahl von Unterscheidungsmöglichkeiten anbieten, die teilweise aus dem Skript, teilweise von mir und teilweise aus fremden Erklärungsversuchen stammen. Meines Erachtens ist keine davon ein eindeutiges Kriterium, meine Trefferquote liegt auch nicht bei über 80%….
Zur Prüfung der nachfolgenden Vorschläge zunächst eine Zusammenstellung der Beispiele, die bisher im Vorlesungsskript und auf dem Übungsblatt vorkamen:
A) Vagheit
- Bielefeld ist eine grosse Stadt.
- Amerika ist ein grosses Land.
- Bilder von Picasso sind teuer.
B) Mangelnde Spezifizität
- Lesen bildet.
- Politik ist ein schmutziges Geschäft.
- Logik macht Spass.
- Susanne duscht zu oft und zu lange.
- Logik ist wirklich wichtig.
Kriterien:
1) Mangelnde Spezifizität kann durch zusätzliche Informationen aufgehoben werden, Vagheit nicht.
Deine Ausführungen zeigen bereits, dass man auch Sätze mit vagen Ausdrücken „spezifizieren“ kann. Folgendes könnten dabei Unterscheidungsmerkmale sein:
1a) Vagheit ist eine Eigenschaft von Ausdrücken, mangelnde Spezifizität eine Eigenschaft von Aussagen. Die Erläuterung einer vagen Behauptung bezieht sich demnach auf einen einzelnen darin vorkommenden Ausdruck, die Erläuterung einer mangelnd spezifischen Behauptung auf den ganzen Satz.
1b) Bei vagen Ausdrücken ist immerhin bekannt, in welcher Einheit die Erläuterung des vagen Ausdrucks anzugeben ist, z.B. im Falle des grossen Landes in qkm, im Falle des teuren Bildes in CHF (resp. einer anderen Währung). Hingegen gibt es keine Einheiten für den Spass, die Bildung oder die Wichtigkeit (siehe Kriterium 3).
1c) Mangelnd spezifische Behauptungen sind quasi elliptisch, besitzen also Leerstellen, zwar nicht grammatikalisch, aber in Bezug auf den Inhalt; es fehlt ein Glied zur Vollständigkeit der Information:
Susanne duscht zu oft und zu lange, UM… oder SO DASS…
Logik ist wirklich wichtig FÜR… oder UM…
2) Bei vagen Behauptungen ist klar, was behauptet wir, jedoch unklar, ob es zutrifft oder nicht. Bei mangelnd spezifischen Behauptungen ist hingegen schon unklar, was überhaupt gesagt wird.
3) Es gibt keine Richtlinien hinsichtlich einer „Vergleichsinstanz“ vager Ausdrücke. Bielefeld ist gross, verglichen mit Baden, jedoch klein, verglichen mit New York. Würde eine solche Vergleichsinstanz vorliegen, wäre der Wahrheitswert der Aussage eindeutig bestimmt (deswegen stellen sich auch keine Probleme bei der grössten Stadt, dem grössten Land, den teuersten Bildern, etc.). Im Falle von mangelnder Spezifizität wäre mit der Angabe einer Vergleichsinstanz hingegen nicht gedient: ‚Logik macht Spass im Vergleich zu Tennis’, ‚Lesen bildet, verglichen mit Fernsehen’. Wie prüfen wir das?
4) Visualisiere die bisherigen Beispiele und triff die Zuordnung intuitiv. Hat bei mir jedoch nicht geklappt.
Wie gesagt, diese Vorschläge sind mit Vorsicht zu geniessen. Vielleicht entwickelt ja jemand als Gegenbewegung zu den aufgeführten Kriterien eine bessere Methode.
Viele Grüsse, Nicole